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Reiselust

Die REISELUST meines Menschen läutet die schönste Jahreszeit im Leben einer schreibenden und ansonsten sehr entschleunigten, charmanten, kleinen, plüschigen Bärin mit ausgewogener Schlaf- und Feierbalance ein. Es ist genau die Zeit im Sommer, in der mein Mensch in die Ferien an die Côte d’Azur reist. Zugegebenermaßen ist diese eine einzige Woche für mich eine viel zu kurze Zeit, um Johnny Bear and the Sheephearts mit seiner Band einzuladen und es hier mit meinen Freunden so richtig krachen zu lassen.

Aber zu allem Übel scheint mir in diesem Jahr selbst dies winzig kleine Glück nicht vergönnt zu sein. Denn mein Mensch kränkelt seit Wochen, schluckt im 4-Stunden-Takt große Pillen, schmiert sich alle zwei Stunden mal dies und dann das ins schlimme Auge. Mein Mensch kann den hohen Aufgabenberg nicht abarbeiten und nicht ausschlafen, nicht lesen, nicht einmal im Soldes shoppen. Mein Mensch ist unglücklich, unleidig, nörgelig - letztere Eigenschaften treffen sonst eher auf mich zu!

Und jetzt redet sich mein Mensch selbst zum Trost das Reisen so richtig mies. Routinemäßig beklagt sie mehrmals täglich, dass das Reisen ja auch überhaupt nicht mehr mondän sei und man sich früher, hach, ja sogar noch extra schön angezogen hätte, wenn es an die Riviera ging. Nun resigniert mein Mensch, dass es schon stimmen würde, dass sich der Passagiertransport in vielen Bereichen heute nicht mehr sehr vom Gepäcktransport unterscheide, aber das sei ja nur eine Seite des Problems. Die andere sei, dass viele Menschen anscheinend vergessen haben, was für ein Privileg es ist, einfach so aus Lust den Ort zu wechseln und durch die Welt befördert zu werden.

Und wenn mein Mensch schon diese sogenannten Reisenden in Jogginghosenmentalität zum Bahnhof „schlappen“ sieht, könne ja ohnehin auch gar kein Hochgefühl bei ihr entstehen. Gegebenenfalls (denn mein Mensch findet in allem Schlechten auch immer etwas Gutes) hat dies etwas Tröstliches, schließlich reisen sie mit der Bahn und fliegen nicht. Ach, mein Mensch ist den Tränen nah und ich sehe in meinen schlimmsten Befürchtungen meine Sommerparty schwinden!

„Duhu“ fange ich an und suche sehr sehr eigennützig nach ganz besonders schönen Worten: „Für dich beginnt das Reisen zum Glück immer zu Hause am Kleiderschrank! Sorgfältig überlegt, schlägst du feine Kleidungsstücke einzeln entnehmbar in Seidenpapier ein; wählst mit Geschmack und Bedacht die passenden Seiden-Carrés und verhüllst Schuhe und Taschen zum Schutz in Staubbeuteln. Und immer gerätst du während dieser Zeremonie in deiner dekadenten Wolke aus Chanel 1932 und fein perlendem Champagner in eine Art altmodische Grand-Tour-Aufregung…“

Mein Mensch blickt auf, ihr Tränenfluss stockt und ich fahre mit meiner geschickten Taktik fort: „Für dich, stets auch selbst wohlbedacht gekleidet - könnte so auch die Fahrt mit dem Bummelzug in die Berge ein Erlebnis werden. Und selbst wenn dir niemand mehr Canapés und eisgekühlten Champagner am Platz serviert, nimmst du dir eben selbst ein Döschen Kaviar und deinen silbernen Flachmann mit. Und dann Augen zu und sich fühlen wie einst im Orient-Express!“

Mein Mensch strafft sich und ein Strahl von Hoffnungsglück erhellt ihr Gesicht. Ha! Das wäre doch gelacht, wenn ich sie nicht doch noch in den Zug setzen und an die Côte d‘Azur verschicken kann…

Danke an SZ und Max Scharnigg für die Inspiration

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